HISTORY

Eine cosmische Geschichte – wir befinden uns im Jahr 1976 in der Diskothek „Baia Degli Angeli“ in Gabicce Mare bei Rimini. Hier feiert der italienische Jet-Set in einer atemberaubenden Kulisse. Direkt and der Adriaküste sind Bars, Lounges, Springbrunnen und Swimmingpools über mehrere Stockwerke verteilt. In einer DJ-Kanzel, die wie ein Aufzug ständig auf- und abfährt, spielen Bob Day und Tom Season aus New York jedes Wochenende die neuesten Disco-Scheiben. Platten, die man in Europa noch nicht kennt, geschweige denn kaufen kann. Hits aus ihrer Heimat und dem legendären Studio 54. Und sie mixen die Stücke ineinander, was zum damaligen Zeitpunkt revolutionär ist. Dies beeindruckt auch ihre italienischen DJ-Kollegen Daniele Baldelli und Claudio Rispoli (DJ Mozart). Schnell erlernen sie die neuartige Technologie des Mixens und nachdem Bob und Tom im Jahr 1978 in ihre Heimat zurückkehren, treten sie in deren Fußstapfen. Leider muss das „Baia“ schon ein Jahr später nach einer Drogenrazzia schließen.

Kurz darauf eröffnet die Diskothek „Cosmic“ in Lazise am Gardasee und Daniele Baldelli wird dort Resident-DJ. Das futuristische Clubkonzept, mit einer DJ-Kanzel im Stil eines Raumschiffes und einer supermodernen Licht- und Tontechnik, ist von Anfang an ein voller Erfolg. Abend für Abend tanzen bis zu 1.000 Gäste in einem ausverkauften Haus. Dies gibt ihm die Möglichkeit musikalisch zu experimentieren. Zunächst am späteren Abend, dann auch vermehrt zur Hauptzeit, erweitert er sein Repertoire um Afro-, Funk-, Reggae- und Tribalplatten bis hin zu englischem Psychedelic- und deutschem Krautrock. Besonders die alternativen, freakigen und spacigen Titel, welche es meist nur auf die Plattenrückseite schaffen, haben es ihm angetan. Eine Besonderheit ist, dass er ausschließlich Nummern im Bereich 90 bis 110 bpm spielt.  Durch Plattenspieler mit Geschwindigkeitsjustierung kann er seine Vinyls pitchen und minutenlange Übergänge mixen. Mittels eines Equalizers erzeugt er unglaubliche Filtereffekte, wodurch ein absolut neuartiges Musikerlebnis entsteht. Daniele und sein DJ-Kollege Claudio Tosi Brandi (DJ T.B.C.) beginnen mit der Aufnahme von Mixtapes, wovon sie teilweise 100 Stück und mehr pro Abend verkaufen. So verbreiten sich die Klänge rasend schnell in ganz Norditalien und nachdem auch das „Cosmic“ im Jahr 1984 wegen massiver Drogenprobleme schließen muss, wird die Diskothek nicht nur endgültig zum Kult, sondern auch zum Namensgeber dieser außergewöhnlichen Musikbewegung.

Cosmic wird immer populärer und nach und nach spielen diverse Diskotheken und DJs den beliebten Sound. Besonders erwähnenswert sind das „Typhoon“ in Brescia mit DJ Beppe Loda, das „Le Cupole“ in Soave mit DJ Rudy Franceschi, das „Melody Mecca“ in Rimini mit DJ Fary, der „Cotton Club“ in Verona mit DJ Yano und das „Spleen“ in Arco mit DJ Corrado. Zeitweise nimmt sogar der Sender „Radio Azzurra“ in sein Programm Cosmic mit auf. Zudem profitiert die Musikbewegung enorm vom aufkommenden Kultur- und Weltmusik-Hype. Von nun an bedienen sich die DJs zusätzlich noch brasilianischen, arabischen, orientalischen, indischen und sonstigen ethnischen Elementen.

Im Sommer 1980 urlaubt der 15-jährige Innsbrucker Stefan Egger mit seinen Eltern am Gardasee und entdeckt dabei zufällig die Diskothek „Cosmic“. Völlig fasziniert kauft er sich nach seiner Heimkehr umgehend zwei Plattenspieler und beginnt zu üben. Schon nach kurzer Zeit organisiert er erste kleinere Veranstaltungen. Ab 1982 legt er regelmäßig im „Galaxy“ in Innsbruck auf und etabliert so die neue Musikrichtung erstmals über Italiens Landesgrenzen hinaus. Zwar übernimmt er im Wesentlichen den Musikstil, vermischt ihn jedoch vermehrt mit langsam gespielten House-, Techno- und Tranceplatten. Dadurch macht er Cosmic massentauglich und dem breiten Publikum zugänglich.

Sein erstes „Afro Meeting“ veranstaltet Stefan im Jahr 1988 in der Olympiahalle, welches sich in kürzester Zeit zum alljährlichen Szene-Highlight entwickelt. Zu den Bestzeiten treffen sich bei dem zweitägigen Indoor-Festival bis zu 10.000 Anhänger aus Österreich, Italien und Deutschland. Im Jahr 1992 eröffnet er mit seinem „Sound Station“ einen Schallplattenladen in Innsbruck, selbstverständlich spezialisiert auf Cosmic. Und er beginnt mit Musikproduktionen, welche letztendlich zu hunderten Vinyl-, Tape- und CD-Veröffentlichungen, bis hin zum Chart-Erfolg „Cosmic Esmerlada“, führen. Später wandert er nach Süddeutschland aus und exportiert von nun an Cosmic vermehrt auch in den Bereich Augsburg-München. Gemeinsam mit seinen Geschäftspartnern Hannes Alshut und Rob Neureiter gründet er die Musik- und Veranstaltungsagentur „Cosmic Music“. Er baut sein Unternehmen zunehmen professioneller aus und wird dabei auch von diversen anderen Veranstaltern, wie Frank Sammüller (Bahiana Corps) und Pablo Landauer (Fiesta Musica Magica), unterstützt.

Die Cosmic-Szene wächst stetig und auch die Anzahl der DJ's nimmt weiter zu. Frühe Wegbegleiter sind in Innsbruck die DJ's Enne, Navajo, Bogi und Makah, in Wien die DJ's Roland, Makossa und Gotori, in Augsburg die DJ's Chris DVM, L.S.D., Ben und Micky, im bayerischen Oberland die DJ's Amma, Fred, Amado, Amani, Kent, Maniac und Yamanu & Samoa sowie in München die DJ's Pablo, Belingo und Venus. Letztere veranstalten ab 1993 im Münchner „Nachtwerk“ 10 Jahre lang jeden Freitag den „Boom Boom Club“. Ein besonderes Highlight ist die „Cosmic Tram“, organisiert von den beiden DJ's Anaszasi und Sheltowee, welche bis heute noch zwei- bis dreimal im Jahr durch die Innenstadt fährt.

Währenddessen steht auch die italienische Szene nicht still und es entstehen die Clubs der jüngeren Generation. Hierzu zählen das „Stargate“ in Castagnaro mit den DJ's Yano und Morgan, das „Zanzibar“ mit den DJ's Corrado und Dyego, das „Jamaé“ in Ancona mit den DJ's Fabrizio Fattori, Ebreo, Pery und Meo, das „Nirvana“ in Terranuova Bracciolini mit DJ Luca T., das „Dlyan“ in Coccaglio mit DJ Mauri, das „La Locanda Del Santo Bevitore“ mit DJ Nello, das „Tikoa Beach“ in Marina Di Ravenna mit DJ Fary, das „Rock Planet“ in Pinarella mit DJ Mayo, das „Sabbie Mobili“ in Chignolo D’isola mit DJ Alessio und das „Tam-Tam“ in San Giovanni mit DJ Lucio. Von 1998 bis 2012 findet das Open-Air „Woodstock DJ Festival“ in Lido Degli Scacchi statt.

Schätzungen nach umfasst die Cosmic-Musikbewegung zur ihren besten Zeiten bis zu 200.000 Anhänger im Länderdreick Norditalien, Österreich und Süddeutschland. Auch wenn die Szene seit Anfang 2000 rückläufig ist, so bereichern neue Genres wie Cumbia, Reggaeton und Latino die musikalische Vielfalt. Als elementarer Grund für den Rückgang wird der Generationenwandel vermutet. Während die älteren Anhänger aufgrund beruflicher und familiärer Verpflichtungen immer seltener Veranstaltungen besuchen, orientiert sich die jüngere Generation vermehrt an populäreren Musikrichtungen wie Hip Hop, House oder Techno. Im Laufe der Zeit hat sich auch das Weggehverhalten verändert, gerade die Millennials meiden verstärkt teure Nachtclubs und treffen sich budgetschonend im Privaten.

Übrigens hat man nach der Heimkehr von Bob und Tom wohl nie wieder etwas von den beiden DJs gehört. Ob sie in ihrer glitzernden Discowelt mitbekommen haben, dass sie der Auslöser für eine unvergleichbare Musikbewegung waren?